Kein Rückflugticket, keine Krankenversicherung und unterwegs nach Namibia auf der Suche nach dem Glück. Ich hatte eigentlich ein gutes Gefühl, war nicht krank oder erkältet, voller Vorfreude, denn hiermit begann ein neues Leben.An dem Tag waren meine Sachen schon gepackt, und ich habe mich noch hier und da verabschiedet, obwohl meine Eltern sicher gewollt hätten, dass ich noch ein wenig Zeit bei ihnen verbringe Aber es war alles so aufregend, und ich konnte den vielen Freunden, die ich in meiner Heimatstadt Zella-Mehlis habe, kaum noch Tschüss sagen, bei vereinzelten noch schnell mal reinschauen. Drei, vier kamen dann noch vorbeigefahren. Wir sahen uns kaum 5 Minuten, dann saßen wir Mays auch schon im Auto Richtung Frankfurt. Mein Vater konnte nicht mit, so waren es nur meine Mutter, mein Bruder, mein Freund Mex und ich.
Als wir am Flughafen ankamen, fanden wir sehr schnell den Schalter der Air Namibia. Ich besaß nur ein One-Way-Ticket. Das hatte damals, glaube ich, so um die 730 DM gekostet. Dann der Schock: Mein Gepäck zeigte Übergewicht, und ich musste nochmal 350 DM extra zahlen. Damit kostete mich der Flug über 1000 DM, derweil ich nur 6000 DM in der Tasche hatte. Das war alles, was ich für einen Neuanfang besaß, plus einige Kontaktadressen in Namibia. Trotzdem kam es mir nicht einmal in den Sinn, dass ich einen Fehler machen könnte.
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Nun sollte es losgehen. Mit dem Kabinengepäck in der Hand lief ich den Gang entlang in Richtung Flugzeug. Doch plötzlich rief mir jemand von der Fluggesellschaft hinterher: „Herr May, Herr May, kommen Sie zurück, da ist jemand am Telefon!“ Kaum konnte ich‘s glauben: es waren alle meine Freunde. Die waren mit zwei Autos gekommen, aber im Stau steckengeblieben und konnten mir nur noch am Telefon tschüss sagen. Es war eine Freude, sie noch mal sprechen zu hören, aber es war auch traurig. Ich glaube, bei einigen gab‘s Tränen. Bei mir nicht - meine Aufregung, meine Vorfreude auf ein neues Leben, das ich mir in diesem Moment zu ermöglichen suchte, verdrängte alles andere. In diesen Sekunden wirbelte es im Kopf durcheinander….es gab kein Zurück mehr.
Nun hatte ich dem Flieger 5 Minuten Verspätung eingebracht und – kaum auf dem Sitzplatz – hatte ich auch schon die nächste Bitte: Ich suchte eine Familie Beier aus meinem Nachbarort. Sie wollten auch nach Namibia und dort Verwandte besuchen. Der nette Steward rief sie dann aus, doch leider waren sie nicht an Bord.
Jetzt erst begann ich zu entspannen. Damals waren es noch Raucherflüge. So setzte ich mich zu den Jugendlichen in der letzten Reihe, und wir rauchten zusammen und tranken Windhoek Lager. Der Flug – so schien es mir – verging rasend schnell. Ein absolutes Abenteuer, das kann man sich gar nicht vorstellen. Über 9000 Kilometer, mit fast 1000 km/h unterwegs, und nach 9 Stunden ist man am Ende der Welt.
Dann landete die Maschine in Namibia auf dem Internationalen Flughafen Hosea Kutako, außerhalb der Hauptstadt Windhoek. Ich stieg aus; die Temperatur war angenehm warm. Nun musste ich meine Kontaktperson, den Paul, finden. Da ich keinen Zettel hatte, nahm ich eine Spucktüte von Bord mit, um seinen Namen drauf zu schreiben. Paul und wir hatten ein Jahr lang Telefon- und Faxkontakt gehabt. Mit ihm wollten wir an einem neuen Projekt arbeiten, für das er in Deutschland über einen Fernsehsender geworben hatte.
Ich fand Paul sehr schnell. Glücklich konnte ich meine Eltern anrufen und ihnen berichten, dass alles geklappt hatte.
Wir fuhren dann umgehend nach Windhoek, zu Pauls Schwiegermutter. Kaum glaublich, wie vertraut mir alles war. Zwar war ich bereits das zweite Mal in Namibia, aber erstmalig bei deutschsprachigen Leuten in Windhoek.
Ich informierte Paul gleich, dass ich eigentlich in Windhoek eine Kontaktperson suchen würde: Gustav van der Merwe, ein Südafrikaner, der bei der Polizei arbeitete. Dessen Adresse hatte ich von der namibischen Botschaft in Bonn erhalten, da ich mich hier bei der Polizei bewerben wollte, um irgendwie Geld zu verdienen.
Leider traf ich die Kontaktperson nicht an. Gustav war in den Norden Namibias beordert worden, um dort Viehdiebstähle auf den Farmen aufzuklären. So ging die Fahrt erst einmal zu den Eltern von Paul - Wilhelm und Maria - auf eine abgelegene kleine Farm. Ich konnte noch nicht ahnen, was mich dort erwarten würde.
Wir kamen früh an, und ich fühlte mich zurückversetzt ins Jahr 1935. Kaum glaublich, dass Deutsche so weit entfernt von Deutschland mit so einfachen Mitteln überleben konnten. Der Vater wurde mir vorgestellt, und er meinte nur „Ach, wieder ein Deutschländer“. Meine Haut war europäisch hell; man sah sofort, dass ich nicht aus Namibia kam. Dann machten wir uns kurz bekannt, und Paul zeigte mir meine Unterkunft. Sie war ein Stück vom Haupthaus entfernt und eher eine Abstellkammer.
Das Leben, wie ich es aus Deutschland kannte, war innerhalb weniger Stunden vorbei. Als erstes begann starkes Nasenbluten. Ich schaute mich kurz um. Meine Unterbringung sah aus wie eine verlassene Werkstatt. Mir war das egal, denn ich hatte mir geschworen, dass, wo immer mich diese Reise hinführen und wie steinig der Weg auch sein mochte, ich diesen Weg gehen würde. Deshalb habe ich ganz cool darüber hinweggesehen, denn das Neue und damit auch die riesigen Savannenflächen, die man aus dem Kabinenfenster erblickt hatte, war faszinierend.
Doch das Nasenbluten wurde immer schlimmer. Ich rannte hinüber zu Wilhelm und Maria. Die versuchten, mich zu beruhigen und meinten, das sei ganz normal: Nase und Nasenschleimhäute wären zu schwach, und „wir sind froh über jeden Tropfen deutschen Blutes, der hier auf den Boden fällt“. Da lief’s mir etwas kalt über den Rücken; ich hätte kaum vermutet, dass die sowas wie eine Art Geschenk von mir ansehen würden. Ich blute, und sie finden das schön?!
Anschließend fuhr Paul nach Swakopmund. Bis dahin kannte ich diesen Ort lediglich vom Hörensagen. Selbst war ich nie dort gewesen. Wir hatten das früher nur auf der Karte gesehen, und man dachte dann an Meer, Strand und Fische. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich keine Vorstellung, was mich später in Swakopmund erwarten würde.
Der Tag verstrich, ich hatte zwar Reisestress gehabt und war dadurch angeschlagen, aber andererseits so aufgedreht, dass ich nicht schlafen konnte. So lag ich auf dem Bett und versuchte meine Gedanken zu ordnen, dachte an das, was ich bisher erlebt hatte, an meine Familie... und unvermittelt überkam mich ein leichter Schauer: Ich war den ganzen Tag nicht einmal auf der Toilette gewesen, obwohl ich extrem viel getrunken hatte. Zuerst das Nasenbluten und nun das! Ich versuchte mich zu beruhigen, als plötzlich etwas über die Wand huschte. Vielleicht ein Gecko? Na ja, dachte ich mir, in Afrika ist das normal. Auf einmal spürte ich, wie mir etwas über die Haut lief. Im Schrank klapperte es, und irgendwie raschelte es überall. Das war dann doch etwas zu viel. Kurzerhand zog ich die Decke aus dem Bettbezug, schlüpfte in den Bezug, zog ihn über meinem Kopf zu und versuchte zu schlafen.
Früh am nächsten Morgen wachte ich auf, da Wilhelm an die Tür klopfte. Er war schon über 80 und sehr rüstig. Plötzlich war ich da in einen Farmbetrieb hineingerutscht. Eigentlich hatte ich erstmal etwas ausspannen wollen. Es gab zum Frühstück Maismehl, das hatte ich vorher noch nie gegessen. Es wird in Nambia (und auch in Südafrika) Mieliepap genannt, und mit viel Zucker und Marmelade schmeckt es gar nicht so schlecht. Es erinnerte mich an den Griesbrei zu Hause, und den habe ich mein Leben lang gerne gegessen. Also hatte ich damit schon einmal kein Problem, obwohl ich, was Ernährung angeht, ein sehr penibler und eigenartiger Mensch bin. Ich kann nicht alles essen, und daher fand ich es sehr anheimelnd, dass es mit einer Art Griesbrei losging.
Zurück in meiner Unterkunft rührte ich mir Brausepulver mit Wasser an. Bis dahin hatte ich immer noch nicht austreten können. Mit einem Mal wurde mir ganz komisch. Wilhelm konnte es sich zwar auch nicht erklären, meinte aber dennoch, es wäre alles normal.
Der Tag selbst war sehr ereignisreich. Ich kann mich nicht mehr an jede Einzelheit erinnern, aber Wilhelm zeigte mir alles, was er dort an Gemüse und Wein anbaute; er hatte über 200 sehr alte Weinstöcke. Auch das Grab von seinem Vater befand sich auf der Farm. Er zeigte mir auch, wo die Angestellten wohnten, welches Werkzeug er benutzte, was sie alles machten. Das waren so viele Informationen, dass ich mir gar nicht alles merken konnte.
Abends dann wieder den Sonnenuntergang in der Savanne zu schauen vermittelte ein Gefühl von Abenteuer und Freiheit. Das neue Leben hatte schon begonnen. Wenn man dann alleine draußen saß, sich eine Zigarette anzündete und nachdachte, kamen keine Gedanken darüber auf, ob man am falschen Ort oder es eine gefährliche Sache war, auf die man sich da einließ. Nein, ich bin dort jeden Tag einfach weiter vorangegangen.
Dann kam der dritte Tag, und erst gegen Mittag musste ich zum ersten Mal auf die Toilette. Ich hatte vorher schon erwogen einen Arzt aufzusuchen, aber die nächste Ortschaft war 200 km weg. Das muss man sich vorstellen. Da leben Menschen, aber die lebten schon immer dort. Die sind ganz anders aufgewachsen als wir in Deutschland; es sind harte Leute, machen sich nicht so schnell Gedanken über ungewöhnliche Dinge, wie gerade bei mir. Aber nun konnte ich endlich Wasser lassen. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Jetzt konnte ich mich endlich wieder voll auf andere Dinge konzentrieren.
Zwei Wochen war ich dort auf der Farm und habe Geschichten gehört über ein neues, fremdes – und doch aufgrund der früheren Kolonialzeit – so vertrautes Land. Dort sind viele Deutschsprachige. Man konnte auch Deutschlandfunk hören, aber während der ganzen Zeit habe ich Fernsehen oder Ähnliches überhaupt nicht vermisst.
Wilhelm zeigte mir vieles; ich hatte zum ersten Mal Kontakt zu schwarzen Afrikanern und vernahm eine fremde Sprache. Es ist eine Art von Klicklautsprache, die man als Europäer so noch nie gehört hat. Buschmänner sprechen sie in ganz extremer Form; ein anderes namibisches Volk, die Damara – und ebenso auch die Nama – sprechen mit Schnalz- und Klicklauten, es sind aber auch weiche Wörter dabei. Madisa heißt zum Beispiel Hallo.
So habe ich von Tag zu Tag dazugelernt. Und man kann sagen, dass ich heute über Namibia mehr weiß, als ich damals beim Verlassen meiner Heimat über Deutschland wusste. Und das nach nur 10 Jahren Aufenthalt in Afrika.
Nun will ich schildern, wie ich zu all dem gekommen bin, warum und weshalb ich diesen Weg gewählt habe und was alles in meinem Leben geschehen ist, von Kindheit an. Es ist eine ziemlich tiefgründige Beschreibung; vielleicht kann ich dadurch den Lesern einen Wegweiser geben oder sie auf eine andere Spur bringen und zeigen, was man im Erdendasein erreichen kann, selbst wenn man nicht viele Mittel hat.
So also fing ich in Namibia an. Unschuldig, unwissend, aber voller Pioniergeist, das Glück suchen und finden wollend. Den Weg dahin habe ich allerdings schon früh bereitet, und zwar in meiner Jugend, weil ich mit meiner damaligen Situation nicht zufrieden war. Man muss versuchen, sich die Freiheit zu erarbeiten, und es ist wichtig, seinen eigenen Weg zu gehen.
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Manuela am 13.2.17 um 21:40 Uhr
Hallo Hendrik, hab in einem Ritt Dein Buch gelesen und hoffe auf eine Fortsetzung. Bleib Dir treu und weiterhin viel Freude bei der Erfüllung Deiner Träume
Henrik May
Phone: +264 (0) 81 4720343 henrik@ski-namibia.com
PO BOX 8140
Swakopmund / Namibia
Anne + Julius am 07.02.20 Dieses Jahr waren wir nicht wie gewohnt in Skandinavien zum Skifahren, sondern verbrachten einen tollen Urlaub in Namibia. Unvergesslich war dabei unser Sandski-Erlebnis mit Henrik, der eine tolle und durchaus anspruchsvolle Tour mit uns geplant hatte. ... ...Zum Kommentar
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Wüstenskifahrer Henrik May am 02.06.18 Auf der Suche nach dem perfekten Wüstenskischuh bin ich auf Orthopädie Schuhmachermeister Bernd Alf in Suhl gestoßen. Durch seine Professionelle und freundliche Beratung für richtige Schuhwahl und Anpassung spezieller Einlagen konnten meine Defizite ... ...Zum Kommentar
Manuela am 13.02.17 Hallo Hendrik, hab in einem Ritt Dein Buch gelesen und hoffe auf eine Fortsetzung. Bleib Dir treu und weiterhin viel Freude bei der Erfüllung Deiner Träume ...Zum Kommentar
Henrik May am 02.09.16 Im+Sand+ein+Pionier:https://t.co/bbQsilhj8m ...
Jens am 12.07.16 Das ist ja mal eine coole Idee - muss ich ausprobieren, wenn ich mal wieder in Namibia bin :-) ...Zum Kommentar
Sig am 11.07.16 Is it a Sand dune? 50 degrees are impossible, sand properties allow for approx. 34 degrees @ slip face .
Might look steeper but eyes/brain are cheating ...Zum Kommentar
Henrik May am 25.03.16 The Amazing Race in Namiba https://t.co/XwWCYdoi0M ...
Henrik May am 25.03.16 Skifahren geht auch in der Wüste! https://t.co/aIcsSZlsq7 ...
Henrik May am 25.03.16 Skifahren geht auch in der Wüste! https://t.co/ceturEtoty ...
Henrik May am 14.03.16 Ich habe ein @YouTube-Video positiv bewertet: https://t.co/EZLsyA3zLt 2016 US Telemark Nationals ...
Henrik May am 19.12.15 Ich habe ein @YouTube-Video positiv bewertet: https://t.co/YTi9K4vQ9c Der wirklich allerletzte Wüsten-Tannenbaum... ...
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Henrik May am 26.11.15 Gut.Morg. Erik sehr toll Du bist News Profi u. aus der legendären 8.März wünsche Dir hoffentlich (cont) https://t.co/GnSgdNsM2m ...
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